Wie habt ihr euch eigentlich Spaziergänge und Ausflüge mit eurem Hund vorgestellt, als ihr noch keine Hundebesitzer wart? Wisst ihr noch, was ihr gedacht habt, wie Begegnungen mit anderen Hunden und ihren Haltern ablaufen würden? Ein jeder wünscht sich wohl ein freundliches und harmonisches Miteinander, ein friedliches Aneinander-vorbei-Laufen und ein respektvolles Nähe-Distanz-Verhältnis. Bestimmt habt ihr euch vorgestellt, auf einen kleinen Schnack mit den anderen Hundemenschen stehen bleiben zu können, die Hunde sich begrüßen zu lassen, um dann entspannt wieder eurer Wege zu gehen. Richtig?

Das Schöne ist ja, dass dieses Szenario täglich vielerorts stattfindet. Es geht aber leider nicht allen Hund-Mensch-Teams so… Wenn ihr euch jetzt denkt, dass es bei euch leider nicht so harmonisch abläuft und jeder Spaziergang zur emotionalen Belastung für euren Hund und euch selbst  wird, dann habt ihr vielleicht ein Problem, das viele Hundehalter mit euch teilen: einen Hund mit Leinenaggression.

Wir möchten euch an dieser Stelle zur Seite stehen. In diesem Beitrag werden wir erläutern, was Leinenaggression eigentlich bedeutet und wie sie  entstehen kann. Außerdem werden wir die Ursachen für leinenaggressives Verhalten erörtern. In Teil 2 der Blog-Reihe „Leinenaggression“ zeigen wir euch auf, weshalb viele der gut gemeinten Ratschläge des Umfeldes eben nur dies sind: gut gemeint, aber nicht zwingend gut gemacht. Im Abschluss unserer Reihe wird es dann in Teil 3 darum gehen, was wirklich hilft, wie ihr also mit eurem Hund arbeiten könnt, um die Leinenaggression in den Griff zu bekommen und wieder entspannt mit eurem Vierbeiner spazieren gehen könnt.

Was ist Leinenaggression?

Hunde, die leinenaggressives Verhalten zeigen, können in Spielsituationen im Freigelände unter Umständen sehr verträgliche und sozial kompetente Tiere sein und kommen oft gut mit ihren Artgenossen zurecht. Sind sie dann aber an der Leine, kann es passieren, dass sie einem entgegenkommenden Hund extrem aggressiv gegenübertreten. Der leinenaggressive Hund wirft sich zum Beispiel in die Leine, sträubt das Fell, fletscht die Zähne, knurrt und/oder bellt den anderen Hund, teilweise auch den Halter, sehr offensiv an. Der Hund ist in diesem Moment überhaupt nicht zugänglich für eine Interaktion mit seinem Menschen und damit nicht abrufbar. Ein Zustand, der für alle unbefriedigend und vor allem sehr belastend ist.

Es gibt Hunde, die allen Artgenossen gegenüber leinenaggressives Verhalten zeigen, egal ob Rüde oder Hündin und ungeachtet der Rasse, des Alters und Erscheinungsbildes des anderen Hundes. Andere wiederum zeigen an der Leine nur Aggressionen gegenüber einem bestimmten Geschlecht oder einer bestimmten Größe von Hunden – also eine selektive Leinenaggression.

Aber wie kommt es nun zu der Leinenaggression? Welchen Unterschied macht der Faktor „Leine“ aus? Und welche weiteren Faktoren begünstigen die Entstehung einer Leinenaggression? Hierbei möchten wir zu bedenken geben, dass Hunde ebenso wie ihre Halter Individuen sind, die ihre eigene Disposition mitbringen und aufgrund ihrer Genetik und ihrer Sozialisation unterschiedlich resilient gegenüber äußeren Einflüssen und inneren Faktoren sind. Wir wollen an dieser Stelle also keinesfalls pauschalisieren. Es gibt jedoch durchaus Tendenzen und die Entstehung einer ausgewachsenen Leinenaggression ist multifaktoriell, hier spielen also meistens unterschiedliche Aspekte zusammen.

Welche Ursachen gibt es für Leinenaggression?

Der Faktor „Leine“

Die Leine begrenzt den Bewegungsspielraum des Hundes. Soweit so klar, das soll sie ja auch tun. Ihr wollt nicht, dass euer Hund auf die Straße läuft oder sich aus anderen Sicherheitsgründen von euch entfernt – alles fein. Dem Hund nimmt die Leine aber in Kontaktsituationen mit Artgenossen die Möglichkeit, sein natürliches Repertoire an Bewältigungsstrategien in dieser potenziell kritischen Situation auszuspielen.

Wovon sprechen wir hier nun ganz konkret? Hunde in Konfliktsituationen wählen normalerweise aus vier Konfliktstrategien:

  • FLIRT (Herumalbern, Spielaufforderung, Übersprungshandlung, welpiges Verhalten)
  • FREEZE (Einfrieren, Erstarren)
  • FLIGHT (Flucht, Rückzug)
  • FIGHT (Drohen, Angreifen, Kämpfen).

Überlegt euch doch mal, welche dieser vier Optionen eurem Hund noch zur Verfügung stehen, wenn ihr euch einem anderen Hund und dessen Besitzer frontal auf dem Bürgersteig nähert.

FLIRT? Ja, sicherlich kann der Hund eine Übersprungshandlung (hecheln, speicheln etc.) auspacken oder anfangen, völlig unangemessen herumzualbern – was er aber nicht kann, ist der Situation zu entgehen. Er hängt ja an der Leine und muss wohl oder übel seinem Halter folgen.

FREEZE? Klar, kann er machen. Aber same procedure, wenn der Mensch weiterwill, geht es weiter.

Gleiches Argument bei FLIGHT, hier allerdings hätte der Hund noch eine Option, denn Flucht bedeutet nicht zwingend sofortiges Wegrennen. Auch ein vorausschauendes im-Bogen-gehen ist eine sozial akzeptierte Vermeidungstechnik, die allerdings durch räumliche Gegebenheiten oder die Länge der Leine nicht umsetzbar ist.

Bleibt also FIGHT… wobei wir hier betonen möchten, dass diese Verhaltensvariation in einer für den Hund konfliktbelasteten Situation abgerufen wird.

Sicherlich kann man sich an dieser Stelle fragen, welche Möglichkeiten denn für den Halter bestehen, wenn man den Hund nun mal an der Leine führen muss und sich eine Hundebegegnung andeutet. Habt an dieser Stelle bitte etwas Geduld, wir werden bald in einem weiteren Blogbeitrag darauf eingehen, wie man sich als Halter eines leinenaggressiven Hundes verhalten sollte. Hier sollen erst einmal die Ursachen für das Verhalten des Hundes aufgezeigt werden.

Rassespezifische Eigenschaften

Man kann grundsätzlich sagen, dass einige Rassen prädestinierter dafür sind, ein leinenaggressives Verhalten zu zeigen, als andere, wobei es natürlich auf das Individuum und die einzigartige Sozialisierung und Aufzucht ankommt. Dennoch sind einige Rassen territorialer veranlagt als andere und wurden züchterisch daraufhin selektiert, sehr eng mit dem Menschen zusammen zu arbeiten. Die Kehrseite dieser Medaille ist, dass bei diesen Hunderassen historisch betrachtet kein Wert daraufgelegt wurde, dass sie sich ihren Artgenossen gegenüber sozial verhalten, dies war für die Verwendung dieser Hunde nicht relevant. Hier sind in erster Linie Gebrauchshunderassen zu nennen, wie z.B. Hütehunde, Herdenschutzhunde, aber auch Terrier und die klassischen Wachhunderassen. Diese Hunde, sind tendenziell leicht erregbar, fahren also sehr schnell hoch und sind dabei oft extrem reaktionsschnell. Die Crux dabei ist, dass Hunde dieser Rassen oft sehr lernwillig sind und extrem schnell den Input umsetzen können – dadurch lernen sie natürlich auch bei unerwünschten Verhaltensweisen, wie einer Leinenaggression, mit etwas Pech schon beim ersten Mal, dass sie mit ihrer Konfliktstrategie Erfolg haben.

Frustration

Besonders Welpen und junge Hunde erfahren häufig, dass viele und oft verhältnismäßig distanzlose Kontakte zu Menschen und Tieren gewünscht sind. Die jungen Hunde dürfen zu allen Passanten und Artgenossen Kontakt aufnehmen – meist mit dem Hintergedanken, einen möglichst sozialen Hund zu formen. Das geht solange gut, bis der Halter sich dann irgendwann zurecht dafür entscheidet, dass die Kontakte an der Leine nicht mehr gewünscht sind, denn inzwischen ist der Welpe vielleicht zu einem großen Pubertier geworden und soll den kleinen Nachbarshund nicht verletzen. Dies ist für den Hund – der bisher nicht lernen durfte, auch mal an einem anderen Hund ohne Kontakt vorbeizugehen – ein ziemlich frustrierender Faktor. Plötzlich bedeutet nicht mehr jeder andere Hund „Jetzt gibt’s Action“, stattdessen hält die Leine den Hund zurück und verhindert den bisher üblichen Kontakt. Dieser Aspekt führt in den meisten Fällen zu deutlichem Frust, der nicht selten – oft gepaart mit anderen unglücklichen Erlebnissen – in Aggression umschlägt.

Schlechte Erfahrung

Bei besonders sensiblen Hunden genügt manchmal schon eine prägnante negative Erfahrung, um den Nährboden für eine Leinenaggression zu legen. Vielleicht hat der Hund sich einmal erschrocken, als ein anderer angeleinter Hund aus einer Einfahrt geschossen kam, die nicht im Sichtfeld war? Eventuell wurden auch laute Geräusche oder eine andere extreme Sinneserfahrung mit einer objektiv betrachtet ungefährlichen Situation assoziiert und schon multiplizieren sich die Eindrücke und es kommt zu einer negativen Verknüpfung. Dabei ziehen sich einige Hunde dann nicht in ihr Schneckenhaus zurück, was ohnehin von der Leine verhindert würde, sondern starten einen Angriff, um nicht in die Situation zu kommen, sich verteidigen zu müssen.

Schlecht geführte Welpenspielstunde

Geht man mit seinem Welpen in die Welpenspielstunde einer Hundeschule, handelt man eigentlich in bester Absicht und möchte seinem Hund die Möglichkeit geben, im Spiel mit anderen Hunden seine sozialen Kompetenzen auszubauen und zu festigen. Leider gibt es etliche schwarze Schafe unter den Anbietern von Welpenspielstunden. Hier werden die Welpen ungeachtet von Größe, Gewicht und Erfahrung von der Leine gelassen und ihnen für eine Stunde oder mehr beim „Spielen“ zugeschaut. Den Hunden wird dabei meist keine Pause gegönnt, die Halter und auch die Hunde werden nicht angeleitet und es findet keine Intervention in brenzligen Situationen statt.

Die ungünstigen Lernerfahrungen, die hierbei gemacht werden, sind vielschichtig. Zum einen werden die großen, verhältnismäßig starken und selbstbewussten Hunde noch darin bestärkt, dass sie mit körperlicher Kraft ans Ziel kommen und erfahren nicht, dass die Interaktion mit ihren Artgenossen wechselseitig aus einem Geben und Nehmen besteht. Ebenso ergeht es ihren kleineren, sensiblen oder per se schon etwas ängstlicheren Mitspielern. Diese Hunden lernen in einer solch unkontrollierten Welpenspielstunde unter Umständen, dass sie, wenn sie nicht von den körperlich überlegenden Hunden ausgebootet werden wollen, sich nur mit offensiver Aggression zur Wehr setzen können.

Die Hunde beider Fraktionen werden eventuell durch diese Erfahrungen andere Hunde auch im normalen Gassikontext mit Furcht, Aggression, Stress und Frustration assoziieren. Hier fehlt dann nur ein kleiner Schritt, bis sich diese negative Vorerfahrung als Leinenaggression manifestiert.

… So, wir machen hier erst einmal einen Cut. Ein umfangreiches Thema, oder? Wir geben euch jetzt ein paar Tage, um den Input zu verdauen und melden uns dann mit Teil 2 wieder. Dann wird es um die Rolle des Halters gehen. Welche Emotionen und Gedanken sind mit dieser Situation verbunden? Und wie reagiert das Umfeld? Seid gespannt…